Tristan

Hallo liebe Freunde von SAMANA WASI. Endlich habe ich einen Namen bekommen, einen sehr edlen sogar, auf den ich richtig stolz bin: Tristan, so hat mich die Frau getauft, die mir nun auch ein wunderschönes neues Zuhause gibt. Ich bin zwei Jahre alt und schon recht gross. Wo ich aufgewachsen bin, hatte ich es nicht gut. Ich lebte mit einem anderen Hengst, einer trächtigen Stute und einem einjährigen kleinen Stütlein zusammen in elenden Verhältnissen. Der Tierschutzbund Innerschweiz wurde dann eines Tages auf uns aufmerksam und holte uns da heraus. Für alle meine „Gspänli“ war bald ein Platz gefunden – nur ich war noch übrig. Ich war sehr traurig. Vorübergehend durfte ich in Obhut eines Tierarztes, bis dort eines Tages eine Frau und ein Mann auftauchten. Ich bekam ein schönes Halfter angelegt, und die Frau sagte: „So, du heisst jetzt Tristan, und du darfst nun in diesen Wagen einsteigen. Dort, wo wir hinfahren, hast du wieder Eselgesellschaft; auch grosse Pferde, ein Pony und zwei Schäflein erwarten dich.“ Ich traute dieser Sache noch nicht ganz und liess mich nur widerwillig in das Gefährt hieven. Es hatte aber Heu darin, und so verhielt ich mich ganz ruhig, bis der Wagen zum Stillstand kam und ich aussteigen durfte. Wow! Von überall her i-aate, wieherte und blökte es! Meine Neugierde war stärker als meine Angst, und so trippelte ich vorsichtig hinter der mich führenden Frau her zu einem grossen Stall. Ich bekam eine Boxe zwischen den Eseln und dem Pony. Alles war so neu für mich! Da hing ein Kessel voller Wasser – das musste ich erst einmal beschnuppern. Auch das Gefäss, in welchem zur Begrüssung etwas hartes Brot lag, kannte ich nicht – also liess ich das Brot erstmal darin. Erst als ich dann gegen Abend sah und hörte, dass alle Tiere aus diesem Ding frassen, tat ich es ihnen gleich, und jetzt bin ich der erste, der nach dem Futter schreit, wenn die Frau in den Stall kommt! Die ersten Begegnungen mit den Zwergeseln Amun und Artax verliefen gar nicht lustig: sie kamen mit offenem Maul auf mich los und wollten mich beissen und schlagen. Die Frau trennte uns sofort wieder, und ich durfte zu dem lieben Ponywallach Thierry. Was war da nur los? Wie mir die Frau später erklärte, rochen die zwei Esel, dass ich bis kurz vor meiner Übernahme noch ein Hengst war; deshalb war ich für sie ein „Konkurrent“. Ich muss also noch ein paar Wochen warten, bis ich mit ihnen zusammen sein darf. Die Frau entdeckte dann auch, dass die Wunde zwischen meinen Hinterbeinen infiziert war. Ein Tierarzt untersuchte mich – was mir sehr Angst machte -, dann musste ich eine Woche lang jeden Tag so eine übel schmeckende Paste schlucken; aber nun tut nichts mehr weh. Meine Scheu habe ich schon fast überwunden. Alle Menschen hier sind sehr lieb zu mir, sie streicheln mich oft, und wenn sie mir das Halfter – sehr vorsichtig – anlegen, gibt es ein Leckerli. Auch das Bürsten meines struppigen Felles und der Mähne lasse ich mir gefallen – aber bitte nicht am Bauch! Da habe ich ganz verklebte Zotteln, und es tut weh, wenn man daran rupft… also schlage ich vehement aus. Auch wenn man mir die Hufe aufheben will, protestiere ich. Die Frau sagt dann nur „das wirst du auch noch lernen, Tristan; alle anderen Esel können es bereits“. Dann denke ich mal darüber nach… Langsam vergesse ich meine schlimme erste Lebenszeit. Es ist herrlich hier! Wir dürfen bereits ein wenig auf die Weide, und daneben sind wir auf dem grossen Hofplatz und haben Äste und Stroh zum knabbern. Über den Zaun kann ich nun schon an den anderen Eseln schnuppern, auch die Eselstute Laura nähert sich mir. Bald dürfen wir alle zusammen auf den Weiden herumtollen, und nun kann auch der kleine, verschupfte Esel Tristan sagen: das Leben ist schön! Ruth Maurer, März 2010