Kiwi’s turbulente Heimkehr ins SAMANA WASI

Die Geschichte begann, wie fast immer, mit einem SOS-Telefonanruf: ein Maultier sollte "über den Regenbogen" geschickt werden, weil sein Besitzer schwer erkrankt war und sich niemand finden liess, der ein 21jähriges Tier übernehmen wollte. Ein Maultier! Da kamen Kindheitserinnerungen hoch an Säumerpfade im Wallis, mit diesen drolligen, robusten Tieren als Lastenträger zur Seite& und so ein "Bindeglied" zwischen unsern acht Pferden und fünf Eseln fehlte uns noch! Das Problem war nur, dass wir gar keine freie Box mehr hatten. Ich frage sachte nach der Grösse dieses Tierleins; man könnte es bestimmt zur Eselin Laura in die geräumige Boxe stellen. "Oh, etwa 1.20 - 1.30, meint meine Tochter!" flötete es am anderen Ende der Leitung. "Gut , wir holen Ihre Kiwa ab," sagte ich zu. Da Kiwa, die ich sofort auf "Kiwi" umtaufte, mit einem zweiten Maultier zusammenlebte, welches vorläufig auf eineSommerweide kam, sollten beide Tiere am selben Tag umplatziert werden. Um Terminkollisionen zu verhindern, anerbot ich mich, den Transport für den Wallach auf die nahe gelegene Weide ebenfalls zu übernehmen und dann mit Kiwi direkt ins SAMANA WASI zu fahren. Beide Tiere seien sehr brav, versicherte man mir. An einem frühen Sommermorgen fuhren meine neue Mitarbeiterin, Michèle Gehri, und ich also nach Magglingen. Wir hatten vereinbart, den Transporter auf einem grossen Platz zu parken und die Tiere dann die ca. 100 m dorthin zu führen. Als wir uns dem Stall näherten, stockte mir der Atem: da stand eine graziöse Maultierstute von über 1.50 m Stockmass! Ausser den langen Ohren und einem etwas runden Bauch erinnerte nichts an einen Esel; das schwarze Fell glänzte und in den wachen Augen blitzte der Schalk.

Das war Kiwi! Neben ihr walzte ein schwerer Maultier-Freibergerwallach daher. "Würden Sie bitte die Tiere anhalftern?", bat ich die Besitzerin. "Oh, das dürfte etwas schwierig sein bei Kiwa, wissen Sie - wenn sie einmal die Halfter trägt, kann man alles mit ihr machen, aber eben, bis... " Ich drückte der Frau den vorsorglich mitgebrachten Halsriemen in die Hand, wünschte viel Glück und fragte mich im Stillen, wie diese Tiere schon nur auf den Parkplatz gebracht, geschweige denn eingeladen werden könnten. Michèle Gehri und ich "schnappten" uns vorerst einmal den Freiberger, der mittlerweile angehalftert war. Kaum merkte er, dass man etwas von ihm wollte, ergriff er die Flucht. Michèle Gehri, welche noch versuchte, ihn festzuhalten, riss es vom Strick beinahe die Haut an den Händen auf. Kiwa folgte nach, ohne Halsriemen auf und davon, im Galopp durch den Freilauf. Wir hielten also Kriegsrat und ersannen unsere Strategie. Während ich den Transporter durch die engen, morastigen Waldpfade manövrierte - was überhaupt nicht mein bevorzugtes Metier ist - versuchten die anderen drei Damen Kiwi anzuhalftern, den Freiberger zu besänftigen und mit Zaunbändern einen Einfang zu erstellen. Als das alles geschafft war - es waren inzwischen 1 ½ Stunden vergangen - liess sich Kiwi endlich anhalftern und als erste in den Transporter führen.

Als aber der Freiberger folgte und wir ihn im Fahrzeug anbinden wollten, begann er derart zu toben, dass Kiwi sich wieder losriss und in Panik aus dem Transporter stiebte. Mit letzter Kraft schlangen wir das Seil des Freibergers um eine Stange und stemmten die Ausstiegsrampe hoch. Doch nun klemmte es einen Karabinerhaken ein, so dass sich die Rampe nicht schliessen liess, und im Wageninnern hatte der Freiberger bereits die Stange aus der Halterung gerissen und pullte mit aller Gewalt gegen den Ausstieg. Die arme Besitzerin, welche sich auch noch im Transporter befand, hatte sich mittlerweile mit einem Sprung auf die Sattelablage gerettet und rief nun um Hilfe aus ihrer misslichen Lage. Also: die Frau befreien, den verklemmten Karabiner lösen und damit die arme Michèle, welche sich noch immer gegen die Rampe stemmen musste, erlösen -danach: Zweiter Kriegsrat! Sollten wir zuerst nur den Freiberger auf seine Weide fahren? Aber würde Kiwi, alleingelassen, dann noch zu transportieren sein? Ich schlug vorerst einmal eine Atempause für uns alle vor. Irgendwie war mir der Gedanke nicht sehr angenehm, die ganzen Umstände zweimal zu inszenieren. Nachdem sich alle Beteiligten Zwei- und Vierbeiner ein wenig beruhigt hatten, rief ich unsere sämtlichen Schutzengel an, uns beizustehen. Zuerst musste der Freiberger von der lebensgefährlich schwingenden Stange befreit und korrekt angebunden werden. Mutig kletterte die Besitzerin wieder durch den kleinen Personeneinstieg in den Transporter und schaffte diese erste Hürde. Die zweite Gefahr drohte, wenn wir die grosse Rampe wieder für Kiwi öffnen mussten: dass sich nämlich der glücklich Angebundene nicht noch einmal losriss! Michèle Gehri, welche zuvor die kräfteraubende Arbeit übernommen hatte, besagte Rampe gegen das Anpullen des "Raubtieres" anzustemmen, liess sie nun wieder vorsichtig hinunter. Der Freiberger stampfte zwar auf, aber da ich mittlerweile Kiwi wieder eingefangen hatte und diese sich willig in den Transporter führen liess, war nun auch die dritte Hürde geschafft - und wir damit! Rampe zu, einsteigen, losfahren! Die Besitzerin lotste uns mit ihrem Auto den gar nicht so nahen Weg zur Pferdeweide. Bei mir auf dem Beifahrersitz sass eine kreidebleiche, zitternde und sprachlose Michèle mit zerschundenen Händen, und als wir den Freiberger endlich an seinem Bestimmungsort abgeladen und uns von dessen Besitzerin verabschiedet hatten, sagte sie mit dünner Stimme zu mir: "Wenn das Freiberger Muli ins SAMANA WASI gekommen wäre, hätte ich dir auf der Stelle gekündigt!". Kiwi verhielt sich auf dem ganzen Weg sehr ruhig; wir konnten sie durchs Fenster, das in den Transportraum geht, gut beobachten. Wir berieten, wo wir dieses grosse Maultier wohl einquartieren sollten, und kamen zu keinem Schluss; also warteten wir ab, wie sich Kiwi wohl verhalten würde. Ich habe in den langen Jahren, in denen ich mit Pferden und Eseln lebe, gelernt, dass uns diese Tiere sehr wohl ihre Bedürfnisse mitteilen können, wenn wir auf ihre Signale achten. So liessen wir, als wir SAMANA WASI endlich erreichten, Kiwi aussteigen und sich ruhig umschauen.

Sie zögerte nicht lange: in zügigem Schritt marschierte sie direkt zu unserem Stutenstall und begrüsste Cheyenne und Meite freudig, als würde sie die beiden schon lange kennen. Die drei Eseli, Vreni, Artax und Amun würdigte sie keines Blickes. Schliesslich floss in Kiwi' Adern das Blut einer Vollblutaraberstute! Dass ein Esel ihr Vater war, war wohl eher ein Missgeschick, geschehen auf einer freien Weide vor über 20 Jahren& Ja, Kiwi war heimgekommen; das fühlten wir alle von der ersten Stunde an. Wir richteten ihr ein Lager auf dem gedeckten Vorplatz vor Meite? s Box ein, wind- und regengeschützt. Hier ist es der freiheitsliebenden Kiwi "pudelwohl". Als wir sie nämlich einmal kurz in Meite's Boxe sperrten, juckte sie aus dem Stand locker über die 90 cm hohe Tür und versuchte später dasselbe, mit Anlauf, über 1,30 m - was sie wohl geschafft hätte, wenn ich ihr nicht schnellstens das Schiebetor geöffnet hätte! Wir alle haben dieses fröhliche Muli ins Herz geschlossen und möchten sie im SAMANA WASI nicht mehr missen. RM