Erfahrungen – und ein neues Pferd im Stall

Mit dem Aufnehmen eines neuen Tieres in Not, aber auch mit dem Abschiednehmen von einem Tier, das unseren Stall verlässt, sind Erfahrungen verbunden: Nicht nur Erfahrungen mit Tieren, sondern ebenso Erfahrungen mit Menschen. Einige davon sind aufbauend und erfreulich, über diese berichten wir gerne in unseren Monatsgeschichten oder in den Hauszeitungen. Über die anderen Erfahrungen, die uns oft betroffen, fassungslos, wütend und traurig machen, müssen wir leider allzu oft den Mantel des Schweigens legen, um SAMANA WASI vor eventuellen negativen Reaktionen beteiligter Personen zu schützen. Man nennt dies dann „Diskretion wahren“, was angesichts geschehenen Unrechtes an Tieren nicht ganz einfach ist für eine Stiftung, die sich für notleidende Tiere einsetzt. Wir bleiben unserem Leitspruch von Albert Schweitzer treu: „Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegenüber allem was lebt“ und bemühen uns, jetzt und hier unser Bestes zu geben für die uns anvertrauten Tiere. Thais, so heisst das Pferd, welches neu in unserem Stall steht. Es ist ein 23jähriger Lipizzaner Schimmel-Wallach, den wir am 13. Januar 2005 aus einem hintersten Zipfel der Schweiz ins SAMANA WASI transportierten. Es war ein strahlender, aber kalter Wintermorgen, und die Fahrt in diese entlegene Gegend war, trotz holprigem Vehikel ohne Servolenkung, traumhaft. Als wir an unserem Bestimmungsort ankamen, fanden wir ein verstörtes, mageres, vor Schmutz starrendes Pferd vor, das uns aus sehr grossen, ausdrucksvollen Augen anblickte. Ahnte der Schimmel wohl, dass er nur um Haaresbreite dem Metzger entronnen war? Eine lange Kette von Begebenheiten, welche im Mai 2004 im SAMANA WASI ihren Anfang genommen hatte, verhinderte im letzten Moment den gewaltsamen Tod dieses edlen Pferdes. Thais liess sich, nachdem alle nötigen Formalitäten erledigt waren, willig in unseren Transporter führen. Auf der ganzen langen Fahrt verhielt er sich ruhig und folgte bei der Ankunft im SAMANA WASI Ruth Maurer ohne zu zögern in seine Boxe im grossen Pferdestall. Er erhielt seinen Platz zwischen den Pferden Tonnère und Rapeur. Da Thais erst im hohen Alter kastriert worden war (vermutlich war er bereits über 20jährig), war sein Verhalten noch sehr hengstähnlich: bei der Begrüssung seiner neuen Kameraden rollte er seinen Hals auf, schlug mit den Vorderhufen an die Boxwand und stiess das für Hengste typische hohe Gewieher aus. Tonnère fand dies äusserst interessant und freute sich über seinen neuen Artgenossen. Nicht so Rapeur! Der sonst so friedliche 32jährige Irländer Wallach ging, nach erstem freundlichen Beschnuppern, rabiat zum Angriff über. Anscheinend regte sich in ihm wieder der uralte Trieb, den wir bei Rapeur bereits im Umgang mit seinem Lieblingsstütlein, dem Shetlandpony „Jenny“ hatten beobachten können…! Sobald Thais in Rapeur’s Nähe kam, zum Beispiel, um an der Selbsttränke Wasser zu trinken, sprang ihn Rapeur mit offenem Maul und angelegten Ohren wütend an, schlug gegen ihn aus und vertrieb ihn rabiat aus seiner Nähe. Wir beobachteten dieses Treiben eine Weile und hofften, Rapeur würde sich etwas beruhigen. Als um 20.30 Uhr, beim letzten Stallrundgang die Situation noch unverändert war, wechselte Ruth Maurer die Plätze: der sanfte Vouck kam als ruhender Pol zwischen Rapeur und Thais. Freundlich und gelassen begrüssten sich die beiden Schimmel, als kennten sie einander längst. Dabei ist erstaunlich, dass Vouck sich bisher (von allen anderen Pferden) nur neben Irish wirklich friedlich verhalten hatte! Nun kehrte Ruhe ein; Thais frass begierig sein Heu und frisches Stroh, und nachts legte er sich bereits in seinem weichen Bett zum Schlafen nieder. Thais wird in der nächsten Monatsgeschichte sehr viel zu erzählen haben! Vorerst muss er nun von einem Tierarzt gründlich untersucht werden, denn er ist in einem erbärmlich verwahrlosten Zustand. Ende Februar könnt Ihr also mehr über Thais, seine Geschichte und sein weiteres Befinden erfahren. RM