Artax

Erinnert ihr euch? Ich bin der graue Esel mit dem, von einer früheren, mutwillig zugefügten Verletzung, blinden Auge. Bereits lebe ich seit einem Jahr mit meinem vier Jahre jüngeren, dunkelbraunen Bruder Amun im SAMANA WASI und möchte nie mehr von hier fort! In den ersten Monaten war ich den Menschen gegenüber noch sehr misstrauisch, hatte ich doch nicht nur Gutes von ihnen erfahren. Deshalb nahm sich dann Ruth Maurer meiner an, damit ich wieder Vertrauen aufbauen konnte: dazu brauchen wir Tiere nämlich zuerst eine einzelne Bezugsperson. Als erstes musste ich lernen, die Hufe schön aufzuhalten und mich putzen zu lassen. Wenn sich mir Ruth Maurer näherte,"bewaffnet" mit Bürsten, Striegel, Hufauskratzer und einem Eimer Wasser, läutete bei mir die Alarmglocke: ich legte die Ohren flach nach hinten, bleckte die Zähne und schlug warnend mit den Hinterbeinen aus. Es nützte nichts; Ruth Maurer kam einfach auf mich zu, zeigte mir ein feines "Guetsli" auf der flachen Hand, und als ich es ihr erlaubte, mir das Halfter anzuziehen, durfte ich es naschen. Als mir Ruth Maurer jedoch den Vorderhuf zum Putzen aufheben wollte, schlug ich blitzschnell von hinten nach vorne zu und drehte mich dann auf alle Seiten, um den "Störenfried" an die Wand zu drücken. Die bösen Erfahrungen hatten mich zwar gelehrt, dass dieses Verhalten Schläge nach sich ziehen würde, aber meine Angst war zu gross! Plötzlich hielt ich inne: meine feinen Ohren hörten eine Melodie. War das möglich? Die Frau sang! Ich blieb wie angewurzelt stehen. Nun streichelte mich eine liebevolle Hand. Die zweite Hand zeigte mir all die "gefährlichen" Putzsachen. Eine gute Stimme erklärte mir, dass diese Dinge nötig seien und ich, wenn ich das Putzen zuliesse, ein weiches, glänzendes Fell und gesunde Hufe bekommen würde. Ob ich das wollte? Na ja, man konnte ja einen ersten Bürstenstrich über sich ergehen lassen... es war gar nicht so schlimm... ie Hufe wollte ich allerdings noch nicht ausgekratzt haben! Ruth Maurer kam nun jeden Morgen, und ich wurde langsam freundlicher.

Aber ohne Musik ging nichts! Ich freute mich auf die vielen neuen Melodien, gesungen oder lustig gepfiffen, und entspannte mich dabei so langsam. Am besten gefiel mir das Kinderlied "Ein Männlein steht im Walde": nach längerer Zeit des Widerstands liess ich es zu, dass mir zu dieser Melodie - und nur zu dieser!- alle vier Hufe schön säuberlich ausgeräumt wurden. Die Wochen vergingen; ich schloss mich sehr nah an Ruth Maurer an und begann, ihr wie ein Hund nachzulaufen. Natürlich trieb ich auch allerlei Schabernack mit ihr, und diese "Spiele" haben wir beibehalten: wenn sie mich, Amun und Vreneli in den oberen Stall zu Laura und Giorgio führt, necke ich sie manchmal mit Drohgebärden, zerre am Führstrick oder schubse sie auch mal von hinten: dann machen wir Wettrennen oder Fangis, das geniessen wir beide! Natürlich lasse ich mich nun auch von anderen Betreuern, vor allem von "Päuli" führen und putzen; und wenn mein Pate mit seiner Familie zu Besuch kommt, geniesse ich ihre Streicheleinheiten und die mitgebrachten Leckereien ausgiebig - nur schade, dass ich sie mit sooo vielen anderen Tieren teilen muss! Aber eben: auch das lernt man im SAMANA WASI. RM