Abschied von Rosi

Bereits nach Pipos Tod, ihrem Zwillingsbruder, der am 3.12.2012 euthanasiert werden musste, bangten wir darum, dass Rosi ihn nicht sehr lange überleben würde. Aber zu unserer grossen Überraschung und Freude kam Rosi recht gut mit ihrem Alleinsein zurecht. In den kalten Wintermonaten lebte sie vorwiegend in ihrem Freilaufstall, von wo aus sie das Treiben rundum beobachten konnte; sie frass ihr Heu und das Futter gut und rief nicht nach ihrem Lebensgefährten. Als der Frühling kam, genoss sie es, auf der Weide neben den Eseln und dem Pony zu grasen. Wir bemerkten zwar, dass sich auch bei ihr die altersbedingte Arthrose bemerkbar machte, aber sie kam noch gut damit zurecht. Im Hochsommer begann Rosi dann zunehmend unter der Hitze zu leiden; auch die zeitweiligen Regengüsse, mit denen eine hohe Luftfeuchtigkeit einherging, machten ihr zu schaffen. Wir hofften, ihr mit dem Arthrosemittel, das Pipo so gut geholfen hatte, die Schmerzen und die Entzündung zu mildern, aber Rosi verweigerte die Einnahme und auf die verabreichte Homöopathie sprach sie nicht an.

Mit Sorge bemerkten wir, dass Rosi nun kaum mehr auf die Weide kam; wenigstens kam sie uns noch entgegen, wenn wir uns mit ihrem Futter und Heu näherten. Aber dann kam der Tag, wo sie ihren Stall überhaupt nicht mehr verliess und nur noch im Liegen frass. Wenn sie aufstehen wollte, kam sie nur noch mit dem Hinterteil hoch; vorne blieb sie auf den Knien. So konnte es doch nicht weitergehen! Das Schlimme war, dass Rosi uns noch munter und wach anschaute und die Guteli, die wir ihr gaben, gierig und freudig frass. Das Heu rührte sie jedoch nicht mehr an. Wie weiter? Der Tierarzt kam, und wir versuchten es noch einmal mit einer Kortisonspritze. Doch auch das nützte nichts, und wir mussten die Hoffnung auf Besserung endgültig aufgeben. Am 20. September, einem wunderschönen Herbstmorgen, schläferten wir Rosi ein: noch bis zum allerletzten Moment frass Rosi Ruth Maurer die Guteli aus der Hand – dann legte sie ihren Kopf in diese Hand; erlöst konnte sie nun die Reise zu ihrem Bruder antreten.

Mit dem Tod des letzten Schäfleins endete eine Ära: Ruth Maurer war im September 2001 ins Bürholz in Rüti eingezogen, um die Stiftung hier aufzubauen, und bereits im Oktober, einen Monat später, waren Pipo und Rosi ins Samana Wasi gebracht worden: gerettet als halbjährige Lämmer. Sie waren unsere ersten Stiftungstiere. 12 Jahre lang war Ruth Maurer jeden morgen und abend mit Heu, Futter und frischem Wasser zum kleinen Schafstall gepilgert, hatte den Stall sauber gemacht und mit ihren „Schafen“ gesprochen, so dass sie langsam handzahm wurden. Die Schafe fehlen uns allen sehr, und der tägliche Blick zum leeren Schafstall tut immer noch weh. Wie gut tat danach, anfangs Oktober dieses Jahres, der Ausflug des Stiftungsrates nach Valendas zu den dort lebenden 9 Tieren! Alle sind gesund und munter und geniessen ihr freies Leben.

Einmal mehr haben uns die Tiere bewusst gemacht: Leben und Tod gehören zusammen, wie Freude und Leid, Begegnung und Abschied.

Ruth Maurer, Oktober 2013