Abschied von Pipo


…“es ist ja nur ein Schaf“!

So oft musste ich diesen Ausspruch hören in den beinahe 12 Jahren, in welchen die Zwillingsschafe Rosi und Pipo bei mir im SAMANA WASI lebten.

Das Schaf – dieses uralte Tier und Symbol für Demut und Aufopferung; ein biblisches Geschöpf. Ich habe Schafe nicht als dumm erlebt. Rosi und Pipo waren geduldig, sanftmütig, heiter und überraschten mich oft mit ihrem Schalk und ihren Einfällen. Auch die Schafe, genau wie die Pferde und Esel, wussten genau, wer da zu ihnen kam, wenn der Tierarzt das Weidetor zu ihnen öffnete. Ich musste sie immer schon mindestens eine Stunde vorher mit „Guteli“  in ihre Hütte locken und dort einschliessen. War der Tierarzt einmal da, war es unmöglich, sie noch zu „erwischen“. Es gab auch andere Leute, und vor allem Hunde, die ihnen nicht genehm waren. Da gingen sie auf Distanz, beobachteten aber die „Fremden“ genau und stampften unwillig auf den Boden.

Pipo und Rosi waren bereits im Oktober 2001 nach Rüti gekommen, nur einen Monat nach meinem Einzug (wir berichteten darüber in unseren Monatsgeschichten). Sie wa­ren stets kerngesund; wir liessen sie nur einmal im Jahr, jeweils im Frühling, scheren, und drei- bis viermal wurden sie entwurmt und es wurden ihnen die Klauen geschnit­ten.

Als sie zehnjährig wurden, also 2011, zeigten sich bei Pipo erste Altersbeschwerden: er hinkte ab und zu, konnte nicht mehr so gut kauen, und auch sein Gehör liess nach. Zu­erst behandelte ich ihn nur mit Homöopathie und Heilpflanzen. Als die Arthrose aber stärker wurde und sich auch Wasser in den Knien staute, musste der Tierarzt Medika­mente einsetzen. Pipo sprach relativ gut darauf an und war längere Zeit beschwerde­frei. Im Winter 2011/12 litt er aber wieder vermehrt an Beinschmerzen, und er hatte Mühe, das Heu und Stroh zu fressen, da es viel härter ist zum Kauen als das weiche Gras.

Als dann im Frühling 2012 die Schafe geschoren wurden, erschraken wir alle: der sonst stets zu schwere Pipo war sehr abgemagert. Gottlob wuchs das Gras dieses Jahr üppig, so dass Pipo wieder genügend fressen konnte. Aber die Arthrose wurde nicht besser, wir erhöhten die Medikamentendosis. Pipo ertrug seine Krankheit stoisch und zeigte uns auch bei schweren „Schüben“, dass er noch bei Rosi und uns bleiben wollte. Wenn ich mit dem Futterbecken zum Tor kam, galoppierte er mir, zwar hinkend, aber mit mun­teren Augen, entgegen und schleckte jedes Körnlein seines neuen Kraftfutters – von welchem ich die Dosis verdoppelt hatte! – mit Lust auf.

Dann kam der Herbst. Der November meinte es nochmals gut mit Pipo: er war zuerst mild und trocken. Doch dann kam der Regen, Kälte und Nebel. Pipo kam kaum mehr aus seinem Hüttli; manchmal stand er kaum noch zum Fressen auf. Am 3. Dezember rief ich den Tierarzt; auch er sah sofort, dass der Zustand von Pipo sehr schlecht war. Wir brachten ihn zwar im Hüttli nochmals auf die Beine, aber er machte keinen Schritt mehr und legte sich sofort wieder hin.

Pipos Blick sagte alles: es war Zeit, ihn gehen zu lassen. Der Tierarzt kniete neben Pipo und mir auf die Einstreu, um ihn zu erlösen. Pipo’s Kopf lag in meinen Händen, sein Blick war ganz sanft und ruhig – und dann lächelte er. Es war gut so – und sehr schwer.

Kurz danach kam der grosse Schnee; nicht auszudenken, was das für Pipo bedeutet hätte!

Rosi bleibt nun allein, und sie trägt es erstaunlich gefasst. Es hilft ihr, dass zur Zeit kein Schnee mehr liegt und daher das Pony Thierry und die Esel Amun und Laura täglich zu ihr auf die Weide kommen dürfen. Ich bin sehr dankbar, dass sie noch bei uns ist und hoffentlich noch eine Weile bleibt.

Und Pipo: schlafe gut!

Ruth Maurer, Dezember 2012