Abschied von Hardy und Thais

Das Jahr 2011 begann erschütternd. Am 11.1.2011 mussten wir Abschied nehmen von Hardy, am 12.1.2011, nur zwölf Stunden später folgte ihm Thais über den Regenbogen.


Beide Pferde hatten ein hohes Alter erreicht. Hardy wäre im Frühling 25, Thais gar 29 Jahre alt geworden. Beide hatten zwar schon über längere Zeit die üblichen, leichteren Altersbeschwerden: Arthrose in den Gelenken und abgewetzte Zähne. Bei Hardy kam ein nicht gravierender Herzfehler dazu sowie chronischer Durchfall im Winter, den wir zwar mit Medikamenten einigermassen unter Kontrolle hatten, der ihn jedoch schwächte. Bei Thais war die Arthrose in diesem kalten Winteranfang stärker geworden. Seine Därme waren sicher auch nicht mehr ganz gesund, da oft Koliken auftraten, die sich aber rasch auflösten, manchmal schon nur mit Homöopathie.



Als anfangs Januar nach der strengen Kälte­periode der Wärmeeinbruch erfolgte, ging es vor allem bei Hardy rapide bergab. Sein Durch­fall war permanent stark und der Mist roch penetrant. Lustlos und langsam folgte er seinem Gefährten Irish auf die Weide, und beim Gehen verdrehte er die Hinterbeine; er hatte offensichtlich Schmerzen. Am 11.1.11 kam der Hufschmied, um Irish und Hardy neu zu be­schlagen. Da passierte es: als der Schmied ein Vorderbein aufhielt, kippte Hardy mit dem Hinterteil weg. Ich konnte gerade noch dagegen anstellen, bis Hardy wieder Boden unter den Füssen hatte. Er war total erschöpft. Mühsam konnte man ihm noch die vier Eisen abnehmen, dann rief ich den Tierarzt.
Hardys Gesamtzustand bei der Untersuchung war derart schlecht, dass wir beide spürten, dass nun das Leiden nicht mehr zumutbar war. Der Tierarzt und ich vereinbarten einen Termin auf 16 Uhr für den letzten Schritt. Als ich mit den Tieren alleine war, ging ich zu meinem vertrauten Hardy in die Boxe, legte ihm die Arme um seinen Hals und dankte ihm. Er war der ruhende Pol in der Herde gewesen, zu allen Neuankömmlingen immer freundlich, und sanft mit seinen zweibeinigen Betreuern. Hardy durfte nun noch eine Stunde mit Irish auf die Weide, dann wurde er, wie alle SAMANA WASI Tiere vor ihm, auf dem Hof sanft erlöst. Es war eine sehr schwere Trennung, Hardy war als eines der ersten Stiftungstiere im Oktober 2002 zu uns gekommen.


Eine unruhige Nacht; Föhn und unnatürliche Wärme. Am Morgen der Anblick der leeren Boxe zwischen Irish und Thais. Nach dem Morgenfutter führte ich Thais und Irish auf die abgetrennten Vorplätze, damit sie etwas Ablenkung fanden. Eine gute Stunde später, als ich aus dem Küchenfenster schaute, sah ich Thais im rauhen Juragrien am Boden liegen, mit eigenartig aufgestützten Vorderbeinen. Ich rannte hinaus zu Thais, wollte ihm auf die Beine helfen. Erst beim zweiten Versuch gelang es ihm mühsam. Ich holte Koliktropfen, weil ich nicht sicher war, ob er „nur“ eine Kolik hatte. Aber nach ein paar Schritten versagte Thais‘ Hinterhand wieder, er liess sich erneut auf den harten Boden fallen, kam kaum mehr hoch.
Ich führte ihn in den Stall, wo er sich sofort wieder fallen liess, diesmal wenigstens in die weiche Einstreu. In Panik rief ich den Tierarzt an. „Du willst aber nicht sagen, dass du schon wieder ein Pferd zum Erlösen hast?!“, war seine ungläubige Reaktion. „Ich weiss es nicht, bitte komm sofort“, antwortete ich. Zwanzig Minuten später war er da. Thais‘ mühsame Versuche, aufzustehen oder abzuliegen, waren erschütternd. Der Kreislauf war schwach, die Atmung hart. Was tun? Noch ein letzter Versuch mit einer schmerzstillenden Spritze? Oder der letzte Schritt? Ich kämpfte mit mir selber. „Gib mir eine Viertelstunde“, bat ich den Tierarzt. Wir tranken einen Kaffee. Als wir wieder in den Stall gingen, dasselbe Bild. Eine Heilung gab es nicht mehr. Ach, mein Thais – dieser schlimmste aller Tierschutzfälle, den ich hier aufgenommen hatte. Dieser wunderschöne, sensible und stolze Lipizzaner Schimmel. „Nicht du auch noch!“, empörte es sich in mir, „nicht jetzt, nicht nur 12 Stunden nach dem Verlust von Hardy!“. Dann fasste ich mich; streichelte ihn, führte ihn auf den Vorplatz; er konnte sich kaum mehr schleppen. Er starb sehr sanft, fiel an meiner Hand einfach in sich zusammen.


Ja, das ist die andere Seite der Münze meiner wunderschönen Aufgabe: dieser letzte, endgültige Abschied. Der Mut zur Entscheidung. Die Lücke, die bleibt. Mein Schock und mein auch körperliches Herzweh dauerten tagelang an.


Zwei Freunde – nun glücklich vereint in den ewigen Jagdgründen.


Ruth Maurer, Januar 2011